Fotografie(ren) – der (richtige) Moment
Kennst du das, du bist gerade unterwegs und dann, dann siehst du etwas Wunderschönes oder Besonderes und lässt doch tatsächlich deine Freunde einfach weiter gehen, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Sie erzählen dir gerade etwas und bemerkten erst einige Meter später, dass du gar nicht mehr da bist. Du bist dann nicht nur ’nicht mehr da‘, sondern du bist weg, in deiner Welt der Fotografie, in wundervoller Symbiose mit deiner Kamera – oder sie mit dir? – und reagierst nicht mal auf die Rufe deiner Freunde. Tja, das kommt vor. Aber glaube mir, sie gewöhnen sich daran und dann heißt es auf einmal „eh heute aber ohne deine Kamera“ oder „kann sie die Kamera mitbringen, sie kann leider nicht ohne“. Jepp, alles schon erlebt.
Wer fotografiert sieht anders.
Aber he, was sollen wir machen? Wenn er nun mal da ist, dann ist er da. Also dieser Moment, der alles entscheidende Moment, der der entscheidet ob das Bild gut wird oder nicht, ob es ausdrucksstark wird oder eher nicht und ob die Atmosphäre des Ortes eingefangen werden kann und das Bild eine Seele bekommen wird.
Wer fotografiert sieht anders, fühlt anders und ja, er unterhält sich auch anders. Wenn er meint genau jetzt ist der Moment für ein Bild da, jetzt kann ein Schnappschuss eine Seele bekommen, dann sagt er das mehr oder weniger – mal laut und mal leise – auch den ihn begleitenden Freunden oder Gesprächspartnern. So ist es auch bei dem Bild gewesen, dass du oberhalb dieses Textes siehst. Ich war zu Besuch bei Dirk Pauli und waren gerade dabei die Scheune zu verlassen, er wollte mir seine frei lebenden Pferde und das Gelände zeigen. Also machten wir uns, er voran gehend, auf zum Scheunentor. Als er sich gerade zu mir umdrehen wollte, gab es diesen gewissen Moment eines jeden Fotografen … „Halt, stopp, Moment! … Bleib so stehen, da wo du stehst und dreh dich nicht weiter zu mir“ … klack-klack-klack … „Sorry, das Licht in deinem Gesicht war gerade der Hammer.“ Danach konnten wir dann auch weiter gehen und die Scheune verlassen, ohne Unterbrechung. Ehrlich, ich schwöre. *es waren ja auch nur noch ein paar Meter*
Ach dir geht es auch so? Na dann teilen wir doch eine Leidenschaft. Dann kennst du ja sicherlich auch Sprüche wie „Guck mal da drüben, wäre das nicht was zum fotografieren?“ oder „Das ist doch nur ein kleiner unscheinbarer Bogen ohne Tor.“ Klar war das nur ein kleiner unscheinbarer Bogen, aber einer aus rote Ziegelsteine, unverputzt und die ganze Ecke hatte etwas anziehendes. Im Kopf hatte ich auch schon das fertige Bild, der Bogen schön im Sonnenlicht oder gar Sonnenüberflutet, kann ja nichts dafür, wenn die anderen sowas nicht sehen. Almut Adler sagte einmal: „Die Entwicklung findet nicht nur in der Dunkelkammer statt.“ So ist es, denn es ist egal wie gut und teuer die Kamera oder das Objektiv sind, ein Bild entsteht immer zuerst im Kopf des Fotografen. Wir sehen etwas und stellen es uns Blitzschnell als fertiges Bild vor. Diese Vorstellung wandeln wir dann innerhalb eines Bruchteils von Sekunden in Bildausschnitt, Fokuspunkt, Blende, Belichtung und Brennweite um. Erst dann kommt der Auslöser an der Kamera ins Spiel, nämlich genau dann, wenn wir meinen, dass es genau jetzt der richtige Moment dafür ist. Bei mir kommt es dann auch noch vor, dass ich an dieser einen gewählten Stelle stehen oder hocken bleibe, weil ich spüre, dass dieser gewisse Moment jeden Moment kommt und das Bild dann noch mehr Kraft oder Aussagestärke hat. Eben weil dann in dem Moment paar Sonnenstrahlen dazu kamen oder weil die Wolken sich „endlich“ vor die Sonne geschoben haben.
Wann ist er denn nun der richtige Moment?
Das kann ich dir nicht mal so richtig sagen. Es kommt ja auch immer darauf an, was für ein Bild du erstellen willst, in dem Moment vor deinem geistigen Auge hast. Es muss für dich einfach vom Gefühl her passen, du musst das Bild „spüren“. Ich kann dir aber gerne verraten wie es bei mir ist, oder wie ich es handhabe, denn ein Rezept gibt es dafür leider nicht.
Zufalls-Aufnahmen
Bei den Aufnahmen die eher zufällig unterwegs entstehen ist es so, dass ich etwas sehe und es interessant genug für ein Foto halte. Licht, Schatten, Sonneneinfall und Reflexionen spielen dabei ebenso eine Rolle wie die Perspektive, aus der ich das Foto aufnehmen möchte. Naja und eben auch meine kreative Vorstellungskraft. Nicht jedes Foto bleibt so wie ich es aufgenommen habe, oft genug bearbeite ich Fotos mehr oder weniger stark, wie zum Beispiel den oben erwähnten Bogen.
Zu den eben erwähnten Reflexionen noch eine kleine Anmerkung. Reflexionen entstehen durch Lichtstrahlen, was auf der Straße tagsüber in der Regel durch die Sonne passiert. Die Erde dreht sich beim Umkreisen der Sonne und wenn die Reflexion noch nicht so ganz da sitzt wo du sie haben möchtest, dann solltest du diesen kleinen Moment auch noch warten. Als Fotograf sollte man sich auch mal die Zeit nehmen, denn nichts ist Schlimmer als ein Bild auf der Festplatte zu haben, bei dem man sich später sagt: „Ach manno, paar Minuten später und es wäre perfekt gewesen“. Glaub mir, du wirst dieses Bild nicht wiederholen können, es wird immer etwas vorherrschen, dass die Aufnahme mehr oder weniger stark beeinflusst. Rausbekommen wirst du zwar ein Bild, dass dann ähnlich dem vorhergehenden ist, aber es wird nicht den Moment widerspiegeln, den du bei der ersten Aufnahme verpasst hast, eben nicht mehr abwarten wolltest.
Konzertfotografie
Bei den Konzerten ist es wieder ganz anders. Licht, Schatten und Reflexionen spielen da für mich natürlich auch eine Rolle und ganz besonders wenn ich zum Beispiel Detailfotos vom Equipment erstelle. Jedoch lass ich mich in der Konzertfotografie gerne von der Musik und den Musikern leiten. Es ist bei mir wirklich so, dass ich ab dem ersten Ton mich fallen lasse – natürlich nur in die Musik – und alles andere um mich herum ausblende. Die Musik trägt mich und ich spüre so auf welchen Musiker ich mich gleich konzentrieren sollte. Bei meinen Fotos muss der Sänger nicht immer in meine Kamera schauen, ich will schließlich die Atmosphäre und bestenfalls – wenn es trotz Graben möglich ist – auch die Interaktionen zwischen Band und Fans einfangen. Der richtige Moment ist für mich dann da, wenn ich die Stimmung, das Leben auf der Bühne festhalten kann.
Reportagefotografie
In der Reportagefotografie ist es ähnlich wie in der Konzertfotografie, man muss eintauchen können. Der richtige Moment kommt dann, wenn du dich mitten drin fühlst, du schon fast ahnen kannst was passieren wird. Das sind dann immer die schönsten oder auch emotionalsten Momente. Auch hierbei arbeite ich gerne mit den Perspektiven und mit all dem was mich umgibt. So kann es dann auch mal sein, dass ich regelrecht darauf warte das die Person hinter mir endlich mit ihrer Tüte los geht und dann neben mir lang gehend ins Bild kommt. Warum? Weil ich auf dem Boden sitze und genau diese Tüte an der Seite mit im Bild haben möchte. Ich warte aber auch gerne mal bis der Rollstuhlfahrer genau hinter dem Laternenmast steht/rollt und fotografiere ihn erst dann. Warum so versteckt dargestellt? Wie oft nehmen wir die Rollstuhlfahrer wahr, wie oft achten wir auf sie? So gut wie nie. Wenn er sich aber im Bild hinter dem Mast befindet nimmt man ihn sehr wohl wahr und man geht nicht einfach dran vorbei wie auf der Straße. Es wird genauer hingesehen, weil es „ungewöhnlich“ ist und wir Menschen dann so neugierig sind und hinsehen.
Lost Place/Interieur Fotografie
Und auch in der Lost Place Fotografie, oder wenn man Interieur fotografiert, gibt es diesen gewissen Moment. Hier spielen natürlich ganz besonders Licht und Schatten sowie die Reflexionen eine große Rolle, es soll schließlich magisch oder mystisch wirken, himmlisch schön oder staubig und heruntergekommen. Egal wie, für den Bildbetrachter muss immer ein Wow-Moment im Bild zu finden sein. Also der Moment, weswegen man sich das Bild länger als eine Sekunde anschauen will, quasi hängen bleibt, ins Bild eintaucht.
Für mich ist der richtige Moment dann da, wenn ich merke, dass man dieses Objekt oder diesen Raum wahrscheinlich so noch nie gesehen oder wahrgenommen hat.
Neben den zuvor erwähnten gestalterischen Elementen wie Licht, Schatten und Reflexionen, spielen bei mir dann auch die Perspektive und die Tiefenschärfe – für einige einfach die Unschärfe drum herum – eine wichtige Rolle. Wenn du dann auch noch der Sonneneinfall beachtest und ihn mit ins Bild einbaust, dann ist er einfach da, dieser gewisse besondere Moment und du musst ihn nur noch ergreifen.
Für den richtigen Moment mit der Sonne zu spielen, ist auch oft ein großes Glücksspiel. So ist es mir einmal bei einem Shooting ergangen. Das Model war sehr hell und schlicht geschminkt, kein mega farbenprächtiges Make Up und ihr Outfit war sehr dunkel. Als wir dann im Wald waren, spielte die Sonne schon die ganze Zeit richtig schön mit, wir hatten einen wunderbaren Lichteinfall. Auf einmal dann, als keiner damit rechnete, warf die Sonne in Kombination mit den Zweigen der Sträucher und Bäume um uns herum, wunderschöne Schatten in das Gesicht des Models. Also schnell das Model richtig positioniert, das war Millimeterarbeit und dann klack-klack-klack. Wir hatten nicht mal 5 Minuten Zeit dafür, so schnell war dieses Schauspiel von Sonne und den feinen Zweigen vorbei. Was für ein schöner Moment, die Sonne als Make Up Artist am Set zu haben. Solche Bilder waren eigentlich gar nicht geplant. Erstellt haben wir sie trotzdem, weil es so einen Moment – in dem Outfit, Make Up und Schattenwurf der feinen Zweige zusammen passen – wie ein 6er im Lotto ist und wohl auch nur so oft vorkommen wird. Ja ok, man kann solche Momente mit den Schatten im Gesicht auch künstlich erzeugen, aber dann ist es von Anfang an geplant und alles von Hause aus aufeinander abgestimmt, zumal man dann auch mehr Zeit haben wird. Da fällt mir ein, ich sollte vielleicht doch mal Lotto spielen, könnte ja auch mit dem 6er klappen.
Der Bildausschnitt hat bei allem natürlich auch ein Wörtchen mitzureden, aber für mich ergibt er sich eigentlich immer aus dem Zusammenspiel zwischen Licht, Schatten, Reflexionen und dem Objekt oder der Person die ich in den Fokus nehme. Vielleicht schreibe ich dazu mal mehr in einen separaten Blogeintrag.
Nun zu euch, wie handhabt ihr es, fotografiert ihr gleich drauf los oder wartet ihr auch mal geduldig auf den richtigen Moment? Passiert es euch auch mal, dass ihr einfach stehen bleibt und eure Freunde weiterziehen lasst, ohne etwas zu sagen?
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